Veranstaltung: | Digitale Landesdelegiertenversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 9. Wahl des Erweiterten Landesvorstands |
Antragsteller*in: | Esther Frederique Lau (KV Koblenz) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 13.03.2022, 05:59 |
E-Lavo-11: Esther Frederique Lau, KV Koblenz - wohnhaft in Höhr-Grenzhausen, Westerwald
Name und Kreisverband
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Als Mensch für den erweiteren Landesvorstand.
Bewerbungstext
Wir leben Vielfalt.
Das hört sich erst einmal so wunderbar an. Wer möchte nicht das Label tragen, tolerant zu sein und für Vielfalt zu stehen? Es gehört inzwischen zum guten Ton, ein Foto von sich mit einer Regenbogenflagge zu posten, mit einer „person of color“ gesehen zu werden, oder Verständnis für Menschen mit Behinderung zu bekunden. Auf keinen Fall den Eindruck erwecken, man vermisse die weißen cismännliche Heteronormativität, die man doch für eine gesunde intellektuelle Elite eines Landes braucht. Oder etwa nicht?
Steckt nicht doch ein klein wenig „das wird man doch noch sagen dürfen“ oder „jetzt stellt Dich nicht so an“ oder „die schon wieder mit ihren Problemen“ in uns? So ganz einfach ist das im Alltag mit dem „wir leben Vielfalt“ nämlich nicht. Nicht, wenn Vielfalt dann „immer“ gelebt und „normal“ sein soll – und eben nicht nur auf dem CSD auf einem Foto mit einem syrischen intergeschlechtlichen Menschen.
Wir reden und bekunden schnell, wenn es passt, wie jetzt über ukrainsche Flüchtlinge. Wir reisen in ferne Länder. Aber wie war die Bereitschaft vor der Wende 1989 in Rheinland-Pfalz zu gelebter Partnerschaft zwischen Städte hier und in der DDR? Wer von uns fährt nach Sondershausen im schönen Kyffhäuserkreis von Thüringen oder spricht mit Menschen aus Grabow in MeckPom (und kennt nicht nur die Grabower Küßchen im Supermarkt), um zu verstehen, warum rechts denkende Menschen aus Rheinland-Pfalz sich dort so wohl fühlen und versuchen ganze Dörfer aufzukaufen? Bislang kommt rechtes Gedankengut aus Rheinland-Pfalz als Exportschlager dort gut an.
Was wir brauchen, damit wir lernen, Vielfalt zu leben, ist auf der einen Seite: „Geduld und Verzeihen“ und auf der anderen Seite: „Zuhören mit dem Herzen und die Bereitschaft, sich selbst weiter zu entwickeln“.
Und das ist manchmal verdammt schwer. Beides. Denn Geduld wird jeden Tag, und das oftmals schon seit vielen Jahren von einem Menschen verlangt, der nicht selbst weiß ist, der ein Cochlea-Implantat hat. Jeden Tag muss ein nicht-binärer Mensch anderen verzeihen, weil wieder misgendert wurde.
Und das ist verdammt schwer. Beides. Wenn man immer mit vollem und ganzen Herzen zuhören soll, was mir der 15 jährige eigentlich an Ängste über seine Zukunft sagen will, wenn er über seine Eltern spricht, die Reichsbürger sind. Wenn ich wirklich mir Zeit nehme und in mich schaue, was für mich meine Heterosexualität bedeutet, oder mein Geschlecht.
Was macht mich zum Kerl oder zur Feministin? Oder geht beides gleichzeitig, auch wenn ich selbst nicht „non-binary“ bin?
Mein Name ist Esther Frederique Lau – gesprochen wie „Esther Frederik Lau“. Jahrgang 1973, geboren in Göttingen. Aufgewachsen als drittes Kind einer evangelischen Pastorenfamilie im Zonenrandgebiet zur DDR. „Atomkraft nein Danke“-Aufkleber, Gorleben, Nato-Doppelbeschluss, „Umkehr zum Leben“-Demos auf Kirchentage, Grenzkontrollen auf dem Weg zu unser Partnergemeinde nach Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz. Und das alles, noch lange vor der Möglichkeit, ohne Zwangssterilisation nach dem Transsexuellen Gesetz meinen Namen ändern lassen zu dürfen. Mein Geschlecht? Sollte doch eigentlich bei der Wahl in ein Gremium, wie dem erweiterten Landesvorstand der Grünen in Rheinland-Pfalz keine Rolle spielen. Schließlich: wir leben Vielfalt. Oder doch nicht? Darf ich hier schreiben und sagen, dass ich mich mit meinem Geschlecht als „nicht-binär weiblich“ verorte? Oder verschlechtert dies meine Chance auf eine Wiederwahl in das Sprecherinnen-Team der LAG Frauen, zu dem ich gehöre? Ich habe Angst. Und das ziemlich oft. Über eine nicht sichtbare Behinderung sprechen zu sollen, macht unsicher. Und wenn ich dem 12 Jährigen aus der Eifel bei einem SCHLAU-Workshop an einer Schule zuhöre, wie er mir von seinen Reichsbürger-Eltern erzählt, die nie akzeptieren werden, das er bi ist, mache ich mich ein Stück weiter auf den Weg zu mir selbst.
Cut.
Selbstständige Tischlermeisterin und erfahrene Messebauerin, Diplom Berufspädagogin, Lehrer_in für Holztechnik, evangelische Religion und Bürokommunikation (überwiegend angewandte Informatik), studiert in Halle (Saale) und Hannover, seit über 20 Jahren mit einer „Ossi“ zusammen – mit Tochter und Pflegesohn. Tanzen, Kulturszene im Westerwald, Jugendtreffen in Frankreich in der Community de Taizé. Da ist noch viel mehr „Vielfalt“
Was wir von Bündnis90 / Die Grünen noch viel mehr brauchen, ist auch der Blick auf das Handwerk. Im Jahr 2019 gab es in Deutschland rund 560 300 Handwerksunternehmen. Dort arbeitet ein wesentlicher Teil der Beschäftigten. Dort finden die Innovationen statt, von denen wir alle Leben.
Bildung.
Nicht zuletzt Ausbildung von Jugendlichen. Sie sind die Zukunft von Deutschland und überall auf der Welt. Kinder und Jugendliche, ohne Angst, sondern mit Zuversicht. Was machen wir, wir von Bündnis 90 / Die Grünen für die Jugendlichen in der Pfalz, für die kein Bus zum Dachdeckermeister fährt, mit dem er noch heute Solarkollektoren auf das Kirchendach montieren soll? Warum gibt es für die Schülerinnen aus Bad Kreuznach keinen Schüleraustauschprogramm mit der Partnergemeinde in vielleicht Magdeburg – und deren ukrainischen Partnerstadt Saproishia? Wir haben doch keine seltenen Erden, die wir bei uns ausbeuten können, so wie wir durch unser Kaufverhalten die Uiguren in China ausbeuten und den Taiwan-Angriff schon jetzt finanzieren, sondern nur die Bildung, als unser Kapital. Dafür brauchen wir ein Bildungssystem, in dem endlich wirklich auch für Kinder mit Förderbedarf die Inklusion nicht nur ein Almosen von „wir leben Vielfalt“ ist. Und dafür brauchen wir Erzieher (männliche) und Hochschullehrende (nicht-binär), deren Begeisterung nicht mehr durch Verwaltung erstickt wird.
Das alles – und noch viel mehr - möchte ich für jede von uns im erweiterten Landesvorstand der Grünen in Rheinland-Pfalz mitdenken und einbringen. Damit wir eine starke grüne Jugend nicht nur in den Städten haben, die uns in eine Zukunft mit noch besseren Wahlergebnissen auf allen Ebenen über ihre TikTok-Kanäle schickt. Damit wir eine einfache Sprache entwickeln, die auch Verständnis zwischen der polnischen Pflegekraft und ihrem muslimischen 80jährigen Brücken zu uns Grünen wachsen lässt. Wie sonst soll zwischen dem Dukati-Fan auf dem Nürburgring, der bei Rheinmetall in Koblenz arbeitet, die Klimawende im Kopf beginnen, wenn wir nicht selbst die Umkehr zum Leben mit unserem Herzen im Kopf schaffen?
Jetzt.
Jeden Tag.
Nicht nur am friday for future.
Biografische Daten
*1973, Göttingen
ev.-ökumenische Friedensbewegung seit 1983
Schülersprecherin - erfolgreiche Kampagne für Bahnhaltepunkt am Schulzentrum.
Ost-West Dialoge aus DDR-Zeit bis heute (auch in eigener Familie)
1993 Abitur, Soziales Jahr
1994 - 2003 Tischlerinmeisterin, Studium in Halle (Saale) & Hannover: Lehramt Berufsbildenden Schulen
2005 Heirat Steffi
2007 Karzinom - behandelt in Koblenz (männlich gelesen)
2008 Geburt Tochter
2013 Gründung queer-mittelrhein e.V. , Koblenz
2015 Gründung & mehrjährig Vorstandsmitglied Bundesverband Trans*
2016 - u.a. Gastdozentin Hochschule Koblenz (Seminare für Lehramt BBS)
2018 Eintritt Grüne, Aufnahme Pflegesohn. Sprechenden-Team LAG Queer, Deligierte für BAG QueerGrün
2019 Vorsitzende Personalrat meiner Schule (GEW), Kandidatin Kreistag des Westerwaldkreises
2020 Bundesfrauenrat (Aufnahme über QueerGrün)
2021 Mitglied im Sprecherinnen-Team LAG Frauen, Team des KV Koblenz zur Einführung Frauen, bzw. FINTA-Statut
2022 Sprechende des Arbeitskreises TINO, QueerGrün